100 Jahre      Mikrobiologische Vereinigung München e. V.     1907 - 2007
 


Buchbesprechung


Für viele Mikroskopiker gehört die ständige Suche nach vergriffenen Auflagen der "Mikroskopie für Jedermann" von Stehli/Krauter auf Flohmärkten oder in Antiquariaten zum normalen Mikroskopiker-Alltag. Die letzten gut erhaltenen Exemplare findet man aber nur gelegentlich und zufällig. Doch nun hat die vergebliche Mühe ein Ende.

Neu! Bruno P. Kremer: Das große Kosmos-Buch der Mikroskopie. 320 Seiten, 451 Farbfotos, 17 Schwarzweiß-Fotos, 115 Farb- und SW-Zeichnungen. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co., Stuttgart 2002. 39,90 Euro. ISBN 3-440-08989-4.

Da liegt es nun also vor mir, so dick und gewichtig wie noch kein Mikroskopierbuch zuvor. Der Titel klingt verdächtig nach "Das Große Goldene Buch der Sieben Weltwunder". Beim ersten Durchblättern mit dem Daumen ist aber der hausbackene Titel schon vergessen, man genießt Aufmachung und Inhalt. Doch der Reihe nach, von außen nach innen.

Moderner, griffsympathisch beschichteter, dicker, fester Leineneinband, stabile, sorgfältige Fadenheftung, kräftiges, schmiegsames Papier: Wo immer man das Buch auch aufschlägt, die Seiten bleiben liegen; auf diese Weise kann man mühelos damit arbeiten, jahrzehntelang. Ein modernes Seitenlayout erfreut das Auge, mit farbig unterlegten Überschriften und ebensolchen, zusammenfassenden Orientierungskästchen in jedem Kapitel. Die Farbunterstützung ist dezent und augenfreundlich, drängt sich nicht auf, lenkt nicht mit Layoutschnickschnack vom Inhalt ab. Wohltuend klare Schriftarten. Hervorgehobene Kästchen am Rand verweisen auf das separate Methodenkapitel. Die vielen Farbfotos und Zeichnungen sind beim beschreibenden Text angeordnet, so daß man nicht umständlich hinundherblättern muß. Design, Layout, Lesbarkeit, Papier und Druck sowie handwerkliche Verarbeitung sind vom Feinsten, bei der Ausstattung hat es der Verlag an nichts fehlen lassen.

Im Einführungskapitel (10 Seiten) gibt Kremer einen knappen Abriß der Geschichte der Mikroskopie. Dieser sowie einige Seiten im Schlußkapitel über den Umgang mit dem Mikroskop und der Erläuterung wichtigster Beleuchtungstechniken, sind sozusagen der ganze apparative Teil. Mit Bedacht hat Kremer auf eine Diskussion der unterschiedlichen Gerätetypen, ihrer Hersteller und deren aktuelles Angebot verzichtet. Das garantiert hohe Resistenz gegen rasches Veralten des Buches.

Der Hauptteil besteht aus den folgenden 8 Kapiteln:

  • Erkundungen der unbelebten Natur (Kristalle, Mineralien, Kunststoffe und Gespinste, Schnee- und Reifkristalle; 16 Seiten).
  • An der Schwelle des Lebens (Pflanzenviren, Bakterien, Cyanobakterien/Blaualgen; 17 Seiten).
  • Die Zelle und ihre Bestandteile (Grundbauplan, pflanzliche Zellwand, Plastiden, Vakuolen, Chromosomen und Kernteilung, Membranen und Mitochondrien; 29 Seiten).
  • Einzeller und andere Protisten (Aufwuchs und Plankton, Algen - die etwas anderen Pflanzen, Augenflagellaten, Koloniebildung bei Algen, Rindenbewohnende Grünalgen, Kieselalgen, Joch- und Zieralgen, Meeresalgen, Algen in Symbiose, Protozoen, Protistenvielfalt; 45 Seiten).
  • Pilze sind ein Reich für sich (Ein- oder wenigzellige Mikropilze, Fädige Mikropilze, Fruchtkörper der Großpilze, Mehltau, Brand- und Rostpilze, Doppelwesen Flechte; 21 Seiten).
  • Pflanzen - kreuz und quer (Moose, Farne, Wurzelanatomie, Leitgewebe in der Sproßachse, Aerenchyme, Holz, Laubblätter, Epidermis, Nadeln, Blüte, Pollen und Pollenanalyse, Früchte und Samen; 70 Seiten).
  • Von niederen und höheren Tieren (Skelettelemente einfacher Wirbelloser, Arthropoden; Schuppen, Schilde, Federn Haare; Blutzellen und Blutgruppen, Quergestreifte Muskulatur; 23 Seiten).
  • Methodisches und Techniken (Grundlegende Arbeits- und Präparationstechniken, Objekte einschließen, Färbe- und Nachweisverfahren, Beobachtungs- und Beleuchtungsverfahren, Kulturverfahren; 40 Seiten).

Die Orientierungskästchen in jedem Kapitel bieten durch standardisierte Angaben raschen Überblick. - Projekt: Was haben wir vor, worum geht es? - Material: Was brauchen wir dazu? - Was geht ähnlich: Welche anderen Objekte und Verfahren eignen sich ebenso für unser Vorhaben? - Methode: Mit welchen Mitteln und Methoden untersuchen wir? - Beobachtung: Was ist zu sehen, worauf sollten wir achten?

Den Schluß bilden ein fünfzehnseitiges Literaturverzeichnis mit etwa 750 Publikationen, eine Seite mit Vereinsanschriften und wichtigen Bezugsquellen, sowie ein ausführliches Sachregister von 9 Seiten.

Leser des "Mikrokosmos", der früheren Zeitschrift "Kosmos" oder "Biologie in unserer Zeit" kennen "B. P. K." und seine Art zu schreiben. Er hat viele Fachartikel und Bücher veröffentlicht, Wissenschaftliches, Informatives, Populäres, und ich kann mich nicht erinnern, daß etwas davon trocken und langweilig gewesen wäre. Seine Freude am Schreiben und Formulieren bezeugt meist schon die Überschrift. Die heißt nicht schlicht Heiß- und Kaltverfahren der Schalenreinigung (bei der Diatomeenpräparation), sondern "Schalenreinigung: Fegefeuer oder Säureattacke", "Bast und Holz: Weiche Schale, harter Kern" oder "Kein Pils ohne Pilz". Da weiß man, wovon die Rede sein wird. Doch sollte man sich beim ersten, raschen Durchblättern nicht von den kurzweiligen Überschriften täuschen lassen, denn was auf sie folgt, ist kein Bio-Smalltalk im Plauderstil, sondern nüchtern-präzise Sachinformation zur Biologie und zur mikroskopischen Arbeitstechnik, nicht zu viel und nicht zu wenig. Eher trocken-tabellarisch geht es dann im Methodenteil zu. Zu den Themen "Objekte einschließen" wie auch "Färbe- und Nachweisverfahren" listet Kremer aber nicht einfach nur auf, sondern stellt den Verfahren stets eine kurze Charakteristik voran. Seine Auswahl aus den vielen umlaufenden Verfahren wird beiden Mikroskopikertypen gerecht, denjenigen, die nur eine bestimmte Struktur erkennen möchten, aber auch denen, die schöne "Ahh-Präparate" anfertigen wollen. Es handelt sich um eine umfangreiche Methodensammlung, in der weder der Tuscheausstrich nach Burri fehlt, noch die einfache, aber hervorragende Färbung mit Rutheniumrot oder die komplizierte und farbschöne Kernechtrot-Kombinationsfärbung nach Sterba-Schobess.

Solche Fülle von Informationen zu sammeln, sie übersichtlich, anschaulich und anregend darzustellen, ist Kremer zum Beruf geworden, lange Jahre hat er das auch als Hochschullehrer in Mikroskopierkursen praktiziert, an der Universität Köln im Institut für Naturwissenschaften und ihre Didaktik / Biologie. Auch daß er - ein Glücksfall für den Autor und seine Leser - in Rainer Gerstle einen Verlagslektor zur Seite hatte, der sich ebenfalls seit Jahrzehnten für die Mikroskopie engagiert (z. B. als ehemaliger Redakteur der Zeitschrift Mikrokosmos), hat dazu beigetragen, daß ich dieses lange erwartete Buch als runde Sache empfinde. Es ist ein echtes Anleitungs- und Arbeitsbuch geworden, das man aber wohl auch gerne zum abendlichen Schmökern zur Hand nehmen wird. Und der Preis von knapp 40 Euro? Da wäre zu fragen, wo denn Mikroskopiker mehr oder Besseres für dasselbe Geld bekommen. Eine angemessene und auf lange Zeit lohnende Investition, für die man eine 100er Ölimmersion gerne noch eine Weile zurückstellen darf.

Keine Kritik? Nichts zu bemängeln? Nun, wer will, der findet. Mancher Leser wird ein ausführliches Kapitel über die tierische und menschliche Histologie vermissen. Ich nicht. Das dauert doch seine Zeit bis sich ein Amateur dazu durchringt, und die Profis lernen das sowieso. Mit den hervorragenden Handbüchern über medizinisch-klinische Mikroskopie, die dem studentischen Geldbeutel angemessen sind, könnte ein solches Kapitel ohnedies nicht konkurrieren. Auch hätte es mir zum Beispiel gefallen, wenn Etzolds schöne Färbung mit Chrysoidin aufgeführt wäre, anstelle derjenigen mit Safranin, die er selbst als überholt bezeichnet. Und sogar einen falsch geschriebenen Namen habe ich auf Anhieb entdeckt (Erdtman). Aber so etwas sind Kleinigkeiten für die nächste Auflage, der hoffentlich noch weitere folgen werden.

Auf beinahe jeder Seite von Kremers Buch lerne ich etwas dazu, ich mag es deshalb gar nicht aus der Hand legen. Dr. Dieter Krauter, 41 Jahre lang Herausgeber des "Mikrokosmos" und Verfasser von drei seinerzeit äußerst erfolgreichen Mikroskopiebüchern meint, das neue Mikroskopierbuch von Dr. Bruno P. Kremer stelle eine lange vermißte Hilfe für den Mikroskopiker dar. Und: "ein anspruchsloses Hobby ist das Mikroskopieren nicht. Ohne Anleitung kann der Amateur nicht zurechtkommen." - Das muß er jetzt auch nicht mehr.

Klaus Henkel (Mikrobiologische Vereinigung München e. V.)



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