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Über pankratische Systeme, Gummilinsen und Zooms

Von Klaus Henkel
Der ulkige Begriff Gummilinse stammt aus der Filmbranche. Die korrekte wissenschaftlich-technische Bezeichnung für ein Objektiv mit veränderlichem Abbildungsmaßstab auf dem Film bei unveränderter Aufnahmeentfernung lautet "pankratisches System". (Von griechisch pan = alles; kratos = Kraft). Ein alles vermögendes, d. h. alle Vergrößerungen oder Brennweiten bewältigendes System. Technisch gesehen wird die Brennweite des Objektivs verändert. Wesentlich ist dabei, daß das stufenlos geschieht, ähnlich wie bei Fahraufnahmen, bei denen die Filmkamera mitsamt dem Kameramann, auf Schienen gezogen, ihre Position verändert, sich dem Objekt kontinuierlich, ruckfrei nähert oder entfernt. Dabei ändert sich auch jeweils die Aufnahmeperspektive. Beim pankratischen System bleibt sie gleich, denn beim Heranholen oder Entfernen des Objekts bei unverändertem Standort der Kamera bleibt die Perspektive erhalten. Deshalb sind die umständlichen und teuren Fahraufnahmen, für die man die Schienen immer wieder aufs neue verlegen muß, für den Spielfilm unverzichtbar.

Ein pankratisches Objektiv besteht in der Regel aus einem Grundobjektiv fester Brennweite und einem im wesentlichen afokalen Vorsatz, das ist ein brennpunktloses, auf unendlich eingestelltes Fernrohrsystem aus mehreren axial verschiebbaren Linsengruppen, die durch Veränderung der Luftabstände zwischen ihnen die Brennweite des Grundobjektivs kontinuierlich vergrößern oder verkleinern. Von der Vielzahl möglicher Typen hat sich besonders das Prinzip des Transfokators (H. Grammatzki 1932) durchgesetzt. Ein solches Objektiv hat vier Linsengruppen:

1. Eine fokussierbare Frontlinsengruppe.
2. Eine mit veränderlichem Abbildungsmaßstab arbeitende Variatorgruppe, die ein Zwischenbild erzeugt.
3. Ein das Zwischenbild konstant haltender Kompensator (ggf. mit zusätzlicher feststehender Linse).
4. Das Grundobjektiv, welches das Zwischenbild auf den Film projiziert.

Zeichnung nach Solf, K. D.: Fotografie. Grundlagen, Technik, Praxis., Frankfurt am Main 1986; verändert.


Variator und Kompensator werden - ungleichförmig - gegenläufig axial verschoben. Ihre Bewegung kann mit der fokussierbaren Gruppe so gekoppelt werden, daß für jede Brennweite die Hyperfokaleinstellung beibehalten und das Nachführen der Schärfe unnötig wird. Bei Projektionsobjektiven fehlt in der Regel der Kompensator, hier wird das Auswandern der Bildlage bei der Brennweitenverstellung mit dem Fokussieren korrigiert. Schon seit etwa 1920 hatte man an der Konstruktion von Objektiven mit veränderlicher Brennweite getüftelt, doch verhinderte die zu geringe Abbildungsqualität zunächst die Serienreife. 1936 wurde dann von den Optischen Werken Busch in Rathenow das erste Objektiv dieser Art, das Vario-Glaukar, in Serie gebaut, und zwar für die berühmte 16mm-Schmalfilmkamera von Siemens & Halske. Es hatte eine veränderliche Brennweite von 25 bis 80 mm. Vorerst beschränkte sich die Anwendung pankratischer Systeme auf Schmalfilmkameras, weil sie bei diesen kleinen Filmformaten und Brennweiten noch handlich und leicht blieben, und wo ihr Nachteil, nämlich der optische Kompromiß bei der Bildqualität, nicht auffiel, denn im Laufbild sind Unschärfen und Verzeichnungen fast niemals wahrnehmbar.

Das führt zum nächsten Punkt. Jedes pankratische System ist ein optischer Kompromiß, weil höchste optische Abbildungsqualität immer nur für eine bestimmte Aufnahmeentfernung und eine bestimmte Brennweite errechnet, optimiert werden kann. Bei Objektiven für Fotokameras ist allerdings heute ein Stand erreicht, bei dem von diesem Kompromiß oft kaum noch etwas zu spüren ist.

Im deutschen Sprachbereich wurden pankratische Objektive einige Jahrzehnte Gummilinsen genannt, weil ihre Brennweite "dehnbar" ist. Nach 1950 führte Jos. Schneider, Bad Kreuznach, den Begriff Varioobjektiv ein. Ernst Leitz in Wetzlar übernahm ihn für Objektive der Leica-Spiegelreflexkameras. Die ersten Leitz-Varioobjektive waren übrigens Schneider-Konstruktionen.

Noch kurioser als Gummilinse ist die heute weltweit bekannte Bezeichnung Zoom-Objektiv. Während man beim ersten noch eine Parallele zur Dehnbarkeit eines Gummis erblicken kann, gelingt das mit "Zoom" nicht so einfach. Das Wort stammt aus der amerikanischen Kindersprache. Auf deutsch läßt es sich am besten mit "brumm brumm" oder "wumm" übersetzen. Zoom ahmt das Geräusch vorüberröhrender Flugzeuge, Laster oder Eisenbahnen nach. Es macht dann "zoom" (gesprochen ssuuhhmm mit stimmhaftem S). Es wurde in die Fliegersprache übernommen, dort bedeutet es das Hochreißen oder schnelle Steigen einer Maschine, wobei wiederum jenes Motorengeräusch entsteht. Nach 1950 fand das Wort Eingang in den Industriejargon, wo es ganz allgemein hochziehen und senkrecht steigen bedeutet. Danach übernahm es die Filmbranche, zunächst für schnelle Schwenks bei vorbeieilenden Motiven, z. B. einem Motorradfahrer oder Automobil, und schon bald auch für das schnelle Heranziehen eines Bildgegenstands durch Verlängerung der Brennweite. Der Begriff wurde in dieser Bedeutung so populär, daß sich eine amerikanische Optikfirma, die Varioobjektive baute, Zoomar Inc. nannte. So hießen auch ihre Objektive. Die Fotofirma Voigtländer in Braunschweig, ein Betrieb der Carl-Zeiss-Stiftung, importierte für Spiegelreflexkameras bereits in den 50er Jahren ein solches Zoomar aus den USA, ein unhandlicher Kloben damals.
Im Mikroskopbau spielen Zoomobjektive nur bei Stereomikroskopen eine nennenswerte Rolle. Von VEB Carl Zeiss in Jena und von Carl Zeiss in Oberkochen gab es auch pankratische Kondensoren für Mikroskope. Einer ihrer Vorteile ist, daß sich die Beleuchtungsapertur lediglich durch Verschieben eines oder zweier optischer Glieder optimal an das jeweilige Objektiv anpassen läßt, und daß dabei die volle Öffnung des Leuchtfeldes auch bei Köhlerscher Beleuchtung beibehalten wird, denn es wird nicht mechanisch mit einer veränderlichen Irisblende eingeengt, sondern optisch durch Verändern der Kondensorbrennweite vergrößert oder verkleinert. Für alle Einstellungen wird also die volle Lichtenergie des gesamten Leuchtfeldes genutzt. Ein weiterer Vorteil ist, daß für Dunkelfeld- und Phasenkontrastbeleuchtung jeweils eine einzige Kondensorblendenscheibe genügt, denn auch die Größe der Dunkelfeldscheibe oder des Phasenrings wird optisch durch Verändern der Kondensorbrennweite angepaßt.

Pankratische Kondensoren sind technische Präzisionsteile mit, je nach Konstruktion, vielfältigen Verstell- und Anwendungsmöglichkeiten. Besonders profitieren davon Mikroskopiker, die sich kleinere Zubehörteile, welche die Möglichkeiten des pankratischen Kondensors erweitern, selbst basteln können.



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