100 Jahre      Mikrobiologische Vereinigung München e. V.     1907 - 2007
 


Ein Mikroskop mit zwei Okularen für beide Augen ist doch ein Stereomikroskop - oder?

Von Klaus Henkel


Da ist der ahnungslose Käufer bei einem eBay-Angebot aber reingefallen. Dort werden von ebenso unkundigen Anbietern binokulare Mikroskope als Stereomikroskope angeboten. Doch mit dem schönen dreidimensionalen, plastischen Bild ist es nichts. Wenn der Verkäufer das Instrument wegen Falschbezeichnung zurücknimmt, hat man noch Glück.

Hier die Merkmale der beiden Mikroskoptypen:


"Das Mikroskop" (auch zusammengesetztes, echtes oder normales Mikroskop genannt).

Von einigen altehrwürdigen Instrumenten aus der Zeit vor 1900, einigen Spezialgeräten und Kinderspielzeug abgesehen, ist ein Mikroskop immer an seinem Objektivrevolver erkennbar. Daran sind mehrere Objektive geschraubt, von denen sich immer eines in den Strahlengang schwenken läßt.

Ein Mikroskop kann monokular (mit nur einem Okular, in das man hineinschaut), binokular (mit zweien) ausgestattet sein, oder gar trinokular (mit einem zusätzlichen senkrecht aufragenden Fototubus zum Ansetzen einer Kamera).

Die beiden Okulare für die Augen ergeben KEIN dreidimensionales Bild, weil jeweils nur ein einziges Objektiv mit seinem bilderzeugenden Strahlengang das Bild entwirft. Hinter dem Objektiv wird dieser Bildstrahlengang im Prismenkopf durch ein Prisma in zwei Teilstrahlengänge aufgetrennt, von denen jeder einem der Okulare zugeleitet wird. Der Sinn dieser Konstruktion ist ein bequemer Okulareinblick, der Mikroskopiker kann mit beiden Augen beobachten. Das ist weniger anstrengend als bei einem monokularen Instrument, bei dem man zwar auch beide Augen geöffnet hat, aber nur mit einem davon in das einzige Okular schaut. Kneift man nämlich ein Auge zu, so kommt es bald zu Muskelverspannungen im Gesicht und zu Kopfweh. Bei dieser Art des Sehens schaltet das Großhirn nach kurzer Eingewöhnung das Bild des unbeschäftigten Auges ab, und wir sehen sozusagen nur das Bild im Mikroskopokular.

Das Bild, das wir in einem monokularen Mikroskop mit nur einem Okular sehen, ist exakt dasselbe, wie das in einem binokularen Mikroskop. Trotzdem ist es vorteilhafter, binokular zu schauen, denn dabei ist es möglich, das Bild, das ein fehlerhaftes Auge auf seine Netzhaut projiziert, durch eine stärkere Wahrnehmung des Bildes vom gesunden Auge "aufzubessern". Das Großhirn kann das, es gibt dem Bild vom besseren Auge bei der Auswertung mehr Gewicht. Wenn man jahrelang monokular - immer mit demselben Auge - in ein optisches Instrument blickt, reduziert die Steuerungszentrale Großhirn die Versorgung des unterbeschäftigten Auges, die Durchblutung der Augenmuskeln wird schwächer, Nervenbahnen und Netzhaut büßen an Leistungsfähigkeit ein. Auch aus diesem Grund ist ein binokulares Instrument vorteilhafter.

Das Bild im Mikroskop ist seitenverkehrt und steht auf dem Kopf. Bei der Art der Präparate, die man in einem Mikroskop betrachtet, spielt das aber keine Rolle.

Der übliche Vergrößerungsbereich eines Mikroskops liegt etwa zwischen 30- und 1300fach. Stärker kann man mit einem Lichtmikroskop nicht vergrößern. Das heißt man könnte schon, aber es ist sinnlos, weil über diese Grenze hinaus durch noch höhere Vergrößerung keine zusätzlichen Details sichtbar werden, man würde nur die "Leere" im Bild vergrößern. Aber ein Nichts bleibt ein Nichts, auch wenn es stärker vergrößert wird.

(Wer dennoch stärkere Vergrößerungen braucht, verwendet ein Elektronenmikroskop, dessen Linsen nicht aus Glas, sondern aus elektromagnetischen Feldern bestehen.)

Um so starke Vergrößerungen wie 300- oder 1000fach zu erzielen, müssen die Objektive den Objekten, also den Präparaten stark angenähert werden. Bei den starkvergrößernden Objektiven ist etwa 0,5 bis 0,10 Millimeter Abstand zwischen dem Präparat und der Objektivfassung. Um diese winzigen Abstände sicher und genau einstellen zu können, ist das Mikroskop mit zwei Fokussiertrieben ausgestattet, dem Grob- und dem Feintrieb. Für stärkere Vergrößerungen braucht man auch einen Feintrieb zum Verschieben des Präparats auf dem Objekttisch. Biologen und Mediziner verwenden ein Durchlichtmikroskop, sein Licht durchdringt das Präparat wie das Licht eines Diaprojektors das Diapositiv. Das Präparat muß deshalb sehr dünn sein, so etwa 1 bis 50 tausendstel Millimeter dünn, in der Regel um 10 bis 20 µm. Die Präparate deckt man mit einem aufgeklebten dünnen Deckglas ab, das genau 0,17 Millimeter dick sein muß, denn alle Mikroskopobjektive sind seit über 120 Jahren so berechnet, als wäre dieses Deckglas seine erste Linse. Nur mit Deckglas ist das Bild qualitativ hochwertig.

Techniker, Metallurgen und Geologen verwenden meist ein Auflichtmikroskop. Es durchleutet die Objekte nicht, sondern beleuchet ihre Oberfläche, die bei der Untersuchung von Gesteinen, Mineralien, Metallen und technischen Gegenständen wie z. B. Leiterplatten wichtig ist.

Die Beleuchtungseinrichtung des Mikroskops ist mit Transformator, Glühlampe, Lampenfassung, Lampenkollektor, Leuchtfeldblende, Kondensor mit Aperturblende usw. aufwendig, kompliziert, und nicht immer ganz einfach einzustellen.


Das Stereomikroskop (Stereo- oder Binokularlupe; auch Präpariermikroskop genannt).

Beim Stereomikroskop ("SM") ist fast alles umgekehrt, zumindest anders! Das Bild ist dreidimensional, plastisch, wie "zum Greifen". Es ist seitenrichtig und aufrecht. Wenn man ein Objekt auf dem Objekttisch nach rechts schiebt, dann sieht man auch im Okular, daß es sich nach rechts bewegt. Deshalb eignet sich dieser Mikroskoptyp gut zum Hantieren mit kleinen Dingen, zum Präparieren, daher die Bezeichnung Präpariermikroskop.

Beim SM beobachtet man nicht nur stets durch zwei Okulare, sondern das Bild wird immer gleichzeitig durch zwei Objektive entworfen, die das Objekt von unterschiedlichen Blickwinkeln aus abbilden, so entsteht der Stereoeffekt. Jedes Okular erhält dabei von "seinem" Objektiv ein eigenes Bild, das sich von dem des anderen Objektivs unterscheidet. Manche SM-Typen scheinen nur ein einziges Objektiv zu haben. Dann ist sein Durchmesser so groß, daß beide Abbildungsstrahlengänge nebeneinander hindurch gehen, genau so als ob es zwei getrennte Objektive wären - wie im nebenstehenden Bild. Im Prinzip sind es also immer zwei Objektive, selbst wenn es nur eines ist!

Ein SM hat einen viel kleineren Vergrößerungsbereich, etwa zwischen 6- und 40fach, manchmal auch bis 100fach. Darüber hinaus nehmen der Stereoeffekt wie auch die Auflösung stark ab, so daß stärkere Vergrößerungen im allgemeinen nicht sinnvoll sind.

Beim SM ist ein großer Arbeitsabstand üblich, also nicht 0,1 Millimeter, sondern etwa 5 bis 10 Zentimeter. Denn die Finger müssen zum Hantieren und Präparieren zwischen Objekt und Objektiv Platz haben. Unter ein Stereomikroskop kann man auch einen ganzen Käfer legen, eine Blüte, überhaupt alles, was man anfassen kann und unter das SM paßt. Beleuchtet wird in der Regel von oben, mit Auflicht. Deshalb müssen die Objekte nicht dünn sein, wie beim Durchlichtmikroskop. Wir beobachten mit dem SM nicht, was "drin" ist im Objekt, sondern seine Oberfläche, so wie wir es mit einer Lupe anschauen, daher die eigentlich korrekte Bezeichnung Stereolupe.

Das SM braucht keinen Feintrieb, ein Grobtriebknopf genügt.

Beleuchtet wird mit allem, was genügend Licht gibt und nicht blendet, notfalls mit einer Taschenlampe. Ideal sind Kaltlichtleuchten mit Glasfaser-Lichtleitern, weil sie kleine Flächen sehr hell ausleuchten und trotzdem kühl bleiben, so daß z. B. Blüten während der Beobachtung oder einer Fotoaufnahme nicht durch die Beleuchtungswärme welken und die Blütenblätter hängen lassen.

Für angehende Mikroskopiker im Kindes- und Jugendalter bis 15 Jahren eignet sich ein Stereomikroskop besonders gut - ein normales Mikroskop weniger. Eine ausführliche Begründung steht hier: Mikroskopie und Kinder.



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